Alles, was Menschen tun, tun sie nur, um damit glücklich zu werden. Glück ist das letzte Ziel hinter allen Zielen, das einzige Ziel, das für nichts anderes mehr gut ist. Sagt zumindest Aristoteles und der Hedonismus.
Ist der Hedonismus wirklich so überzeugend?
Was „Glück“ allerdings nun genau ist, darüber scheiden sich die Geister. In der Philosophie gibt es drei grundsätzliche Antworten auf diese Frage – die drei großen Glückstheorien. In einer davon, nämlich dem Hedonismus, geht die Definition des Glücks vor allem über den Genuss: Ein glückliches Leben ist ein Leben voller Genussmomente bei gleichzeitiger Abwesenheit von Leid und Schmerzen. Kurz gesagt: Möglichst viel Gutes und möglichst wenig Schlechtes. Diese Definition des Hedonismus klingt eigentlich überzeugend. Aber dann kennst du noch nicht das Gedankenexperiment „Erlebnismaschine“ des amerikanischen Philosophen Robert Nozick (aus seinem Buch „Anarchy, State, and Utopia“).
Warum überhaupt Gedanken-Experimente?
Berechtigte Frage, denn es gibt in der Philosophie unzählige davon – vielleicht hast du ja mal vom „Gehirn im Tank“, vom „Schiff des Theseus“, von „Mary“ oder vom „Schleier des Nichtwissens“ gehört. Aber nicht nur die Philosophen sind so verrückt – auch die Physiker machen Gedankenexperimente (z.B „Schrödingers Katze“). Die Frage ist nur: Warum?
Gedankenexperimente dienen meistens dazu, eine Theorie durch einen konstruierten Extremfall auf die Probe zu stellen.
Ein beeindruckendes Bespiel im Bereich Ethik und Moral findest du sogar auf Youtube: Michael Sandel stellt uns in seiner Harvard-Vorlesung dabei vor ein schwerwiegendes Problem – es geht um Leben und Tod.
Und das ist auch Nozicks Anliegen. Er will die hedonistische Theorie des Glücks auf die Probe stellen, indem er uns auf eine gedankliche Reise mitnimmt.
So funktioniert die „Erlebnismaschine“
Stellen wir uns eine Welt vor, in der die Neurowissenschaft und Medizin so weit entwickelt sind, dass uns Menschen ganz neue Möglichkeiten durch diese Biotechnologien entstehen. Es ist denkbar, dass dann auch Psychologen und Hirnforscher dazu in der Lage wären, durch gezielte Stimulation verschiedener Hirnareale das bewusste Erleben eines Menschen zu steuern. In Ansätzen ist das übrigens heute schon möglich, man kann durch gewisse Elektrodenanordnungen auch heute schon Stimmungslagen bei Menschen verändern (z.B. eine depressive Verstimmung einleiten), oder motorische Bewegungen induzieren (nicht nur Reflexe, sondern auch ein Hand-Heben usw.).
In der zukünftigen Zeit, in der unser Gedankenexperiment stattfindet, geht aber schon viel mehr: Mittlerweile ist es kein Problem mehr, das Gehirn per elektrischer Stimulation eine Art „virtuelle Realität“ erzeugen zu lassen, die der Person selbst als Wirklichkeit vorkommt. Wir alle wissen, dass unser Gehirn das auch ganz alleine kann: im Traum! Stellen wir uns also vor, wir wären quasi in einem von Maschinen gesteuerten Traum und würden diesen als Wirklichkeit erleben, d.h. wir würden gar nicht wissen, dass wir träumen. Das ist bei Träumen ja fast immer so – außer bei luziden Träumen. (Wenn du zu diesem Thema mal einen Blog Post haben möchtest – schreib uns).
Und während die Person die virtuelle Realität als „echte Wirklichkeit“ erlebt, schwimmt ihr realer Körper dabei in einem Becken und hat Elektroden an dem Kopf kleben. (Wer jetzt nicht an „Matrix“ erinnert wird, der hat den Film wohl nicht geguckt.)
Die Hirnforscher können die Elektroden nun so steuern, dass sie für die Person eine Welt erschaffen können, in der alles passieren kann, was die Hirnforscher möchten. Und nehmen wir mal an, man könnte den Forschern vorhersagen, was man erleben will und was nicht. Die Person könnte vorher bei den Forschen ihr „Lieblingserleben“ a la carte bestellten und dann auch wirklich erleben, ohne dass sie noch weiß, dass alles nur eine Illusion ist. Und so könnte ein Wunsch aussehen: „Ich würde gerne reich sein und einen attraktiven Körper haben, außerdem möchte ich, dass es auch im Winter warm ist, und ich will, dass ich wieder mit meinem Opa im Garten spielen kann, obwohl er eigentlich schon tot ist; außerdem möchte ich einen Nobelpreis gewinnen, niemals zum Zahnarzt müssen und auch sonst niemals Schmerzen oder Krankheiten haben. Ach ja: Ich möchte auch noch mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, und Johnny Depp schlafen (oder eben mit Scarlett Johansson, Mila Kunis und Jennifer Lawrence).
Und dann möchte ich auch noch meinen Schwarm aus der Schule heiraten, der mich nie wahrgenommen hat und in den ich 10 Jahre meines Lebens verschossen war. Und Flitterwochen auf dem Mars wären auch ganz cool.
Klingt alles fantastisch, oder? Die Frage ist nur: Wenn ich dir jetzt einen Deal anbieten würde (so ähnlich wie im Film „Vanilla Sky“), dass ich dir als Hirnforscher all das verschaffe und es dabei niemals Probleme geben wird, würdest du dann einwilligen und sagen, dass du jetzt die Wirklichkeit „wechseln“ möchtest? Bedenke aber: Es ist für immer – und du weißt nachher nicht mehr, dass wir diesen Deal hatten, du wirst niemals wissen, dass du in einer Scheinwelt lebst!
Ich stelle dich also vor die Entscheidung: beschissenes Leben in der echten Realität, oder geiles Leben in einer Computersimulation. Was würdest du tun?
Deal or No Deal?
Diese Frage ist echt nicht so einfach. Es gibt Menschen, die es tun würden, aber die meisten zögern bei dieser Frage. Ich ebenso. Ich möchte nicht nur erleben, im Coaching mit dabei zu sein, wenn sich das Leben eines Klienten verändert – ich möchte es auch wirklich sein! Ich möchte nicht nur der Illusion erliegen, dass jemand meine Texte liest – ich möchte, dass sie tatsächlich jemand liest. Ich möchte Kontakt haben mit dem Fremden, mit dem Unbekannten, mit dem Widerstand der Welt, wo es nicht immer nur nach meinem Kopf geht, wo ich kämpfen muss, wo ich nicht immer alles schaffe, egal wie ich mich anstrenge, ich will etwas erleben, was nicht in mir drin ist, sondern eine echte Begegnung, etwas, das nicht meiner Kontrolle unterliegt, etwas, dass sich nicht einfach „machen“ lässt. Eine Welt, wie sie mir gefällt, ist zwar für Pippi Langstrumpf schön, wäre für uns Menschen aber vor allem eines: langweilig und vorhersehbar.
Wer A sagt, muss auch B sagen
Wenn du ein ähnliches Gefühl wie ich hast, wenn du an diesen Deal mit den Hirnforschern denkst, dann kannst du sicher nachvollziehen, was ich meine. Aber wir müssen uns dann ernsthaft fragen, ob wir dann noch an die hedonistische Theorie des Glücks glauben können. Und das ist auch das Ziel von Nozicks Gedankenexperiment: Uns zu verunsichern und uns zu zeigen, dass wenn wir A glauben, nicht weiterhin an B festhalten können. Wenn wir also den Deal ablehnen würden, dann würden wir auch den Hedonismus als Theorie insgesamt ablehnen. Denn nimmt man nur die Definition des Hedonismus, ist die Erlebnismaschine der Himmel auf Erden. Mehr Glück geht nicht. Warum also schrecken wir davor zurück?
Das ist nicht einfach zu beantworten, aber ich glaube, es geht darum, dass wir Menschen „echtes“ Glück wollen, also ein Glück, das nicht auf Knopfdruck entsteht, sondern das wir uns verdient haben, das wir uns erarbeitet haben, das wir manchmal auch einfach nicht erreichen können und bei dem wir uns dann umso mehr freuen können, wenn wir Glück haben – und uns das Glück mal ungefragt heimsucht.
Grundlos glücklich?
Wer keinen Grund hat, glücklich zu sein, der ist vielleicht auch gar nicht so glücklich. Wer ohne Grund einen Nobelpreis bekommen hat, weil es eine Namensverwechslung gab, kann sich nicht so wirklich darüber freuen. Wer Millionär geworden ist, weil er geerbt hat, ist vielleicht nicht so zufrieden wie jemand, der nach 10 Jahren Forschung ein wirksames Medikament gegen Alzheimer entwickelt hat (und damit reich geworden ist). Jemand, der nur deswegen einen Ehemann hat, weil dieser dann eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, fühlt sich wahrscheinlich nicht wirklich geliebt und ist dadurch nicht wirklich glücklicher.
Kritik am Hedonismus
Wir können also festhalten, dass die hedonistische Glückstheorie nicht nur am Kompensationseffekt scheitert, sondern auch daran, dass sie dem Irrtum erliegt, Glück sei etwas Inneres, ein reiner Erlebniszustand, ein reines Gefühl, losgelöst von der Bezugnahme auf die Außenwelt. Wenn wir jemanden lieben, dann macht uns ja nicht dieses innere Gefühl glücklich – sondern wir lieben jemanden in der realen Welt, unsere Liebe richtet sich auf eine Person, die nicht in uns ist, die nicht innerlich ist, sondern die Liebe ist die Brücke zwischen innen und außen, zwischen mir und dir, zwischen Ich und Welt. Glück hat also immer auch einen Bezug auf die Außenwelt. Und vielleicht wird dir jetzt auch klarer, warum die Zieltheorie des Glücks in diesem Punkt überzeugender ist: Wenn wir Ziele erreichen, interagieren wir mit der Außenwelt, wir arbeiten gegen Widerstände, strengen uns an, können niemals mit Sicherheit wissen, ob wir es schaffen – aber wenn wir es schaffen, dann haben wir uns das Glück wirklich auch verdient.
Und nun?
Wir sind nun am Ende dieser Gedankenreise angekommen. Für mich war das sehr intensiv. Vielleicht raucht jetzt auch dir der Kopf. Lass uns bitte wissen, was du von diesem Blog Post hältst: Sollen wir so etwas öfters posten oder ist das verkopfter Mist? Ist das eine wertvolle Inspiration für dich gewesen oder für das wirkliche Leben nicht zu gebrauchen? Nimm Kontakt mit uns auf und hinterlasse uns eine Nachricht. Wir freuen uns auf dein Feedback und werden versuchen, daraus zu lernen ?