Wir haben uns nicht immer unter Kontrolle. Manchmal handeln wir auch richtig unsinnig. Stellen Sie sich vor, Sie schauen einen Horrorfilm über aggressive Riesenspinnen. Ein schreckliches Spinnenungeheuer taucht auf dem Bildschirm auf – und was machen Sie? Sie zucken zusammen. Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass die Riesenspinne nicht aus dem Fernseher springen kann. Aber Gefühle sind schneller als das rationale Denken. Deshalb ist es so schwierig, Gefühle zu kontrollieren. Warum genau das so ist und wie Emotionen, Denken und Sprache eigentlich zusammenhängen, möchten wir Ihnen in diesem Post erklären.

Außer Kontrolle

Angst ist das beste Beispiel für eine Emotion, die praktisch unabhängig von rationaler Einschätzung und willentlicher Kontrolle auftritt und vergeht. Wir haben oft in Situationen Angst, in denen dies rational unangemessen ist. Zum Beispiel, wenn wir beim Anblick einer Riesenspinne im Fernsehen einen Angstschrei ausstoßen. Die Tatsache, dass diese Angst nicht durch den Anblick der Spinne selbst hervorgerufen wird, sondern von unserem Gehirn konstruiert wird, heißt nun aber nicht, dass wir diese Angst bewusst kontrollieren können: Man kann sich nicht entscheiden, jetzt mit heftiger Angst zu reagieren und schon gar nicht, mit der Angst jetzt auf Knopfdruck wieder aufzuhören. Solche Gefühle sind wie z.B. auch das Einschlafen willentlich nicht kontrollierbar – es sind unwillkürliche Prozesse, denen wir uns als Opfer ausgeliefert fühlen.

Warum gut zureden nicht hilft

Gleichzeitig geht z.B. Angst aber durch die bloße rationale Versicherung, es sei ja alles in Ordnung, nicht einfach weg. Das wiederum kennt man auch von anderen Emotionen wie Verletzt-sein, Eifersucht oder Eitelkeit. Die Einsicht, dass bestimmte Gefühle gerade völlig überflüssig sind, spielt fast nie eine Rolle dabei, wann sie auftritt und wann sie wieder vergeht. Deshalb ist es auch oft nicht erfolgreich, Menschen in solchen Situationen gut zuzureden. Es mag helfen, dass andere für einen da sind, dass man sich nicht alleine fühlt; ganz selten mag auch ein Zureden helfen, aber in der Regel ist es ohne spezifische Wirkung.
Durch sprachliche Beeinflussung lässt sich hier kein Veränderungseffekt erzielen. Das ist verwunderlich – arbeiten doch so viele Beratungen, Therapien und Coachings genau mit einer solchen Methode. Man hört immer wieder davon, man müsse einfach nur von „ich muss“ auf „ich will“ umsteigen; man müsse den Pessimismus durch positives Denken oder positive Gefühle ersetzen, dann würde bald alles gut. So einfach ist es natürlich nicht – aber das versteht man erst, wenn man das Gehirn besser versteht.

Das limbische System: ein blitzschneller Ur-Opa

Zunächst müssen wir verstehen, dass Teile unseres Gehirns älter sind als andere. Das hat Auswirkungen auf die Funktionsweise unseres Gehirns. Unwillkürliche Prozesse gehen nämlich mit einer erhöhten Aktivität einer speziellen Gehirnregion einher: dem limbischen System. Dort kommt es aufgrund der Bewertung, dass ein gewisser Sinnesreiz (z.B. Anblick einer Spinne) gefährlich ist, zu einer Angstreaktion. Die Bewertungen, die eine Situation als gefährlich oder ungefährlich kategorisieren, finden aber nicht bewusst und rational durchdacht statt, sondern laufen blitzschnell und vor jedem Bewusstsein ab. Wir können den Konstruktionsprozess also nicht bewusst und rational steuern, auch nicht nachträglich.

Warum man zuckt, bevor man denkt

Das limbische System ist nämlich ein evolutionär deutlich älterer Teil des Hirns als z.B. der Neocortex, der für bewusste und rationale Beurteilungen sowie Sprache zuständig ist. Das limbische System ist so schnell, dass es eine Situation bewertet und den Körper unwillkürlich reagieren lässt, bevor wir überhaupt bewusst etwas davon mitbekommen. Sie kennen das vielleicht aus Situationen, in denen Sie schon zucken, bevor Sie bewusst spüren, dass Sie Angst haben. Die Angstreaktion bereitet Ihren Körper bereits perfekt auf Flucht oder Kampf vor, bevor Sie eine Ahnung davon bekommen, was gerade um Sie herum passiert. Ihr Körper ist sozusagen schneller als Ihr Bewusstsein: Er wehrt die Gefahr schon ab, bevor Sie sie bewusst erkannt haben.

Bewusste Handlungen brauchen Umwege

Bei bewusst-rationalen Bewertungen wird ein Sinnesreiz nicht sofort innerhalb des limbischen Systems (vom Thalamus zur Amygdala) weitergeleitet, sondern macht einen Zwischenstopp am Neocortex (genauer gesagt am präfrontalen Cortex), wo er dann differenzierter und situationsangemessener bewertet wird.

Schaubild: Evolutionsbiologische Entwicklung des menschlichen Gehirns

gefühle

Bild-Quelle: Geringfügig modifizierte Version von (c) IBSA Institut für Biostruktur-Analysen AG, commons.wikimedia.org, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Das_drei-einige_Gehirn.jpg, Common License: CC-BY-SA-3.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, zuletzt geprüft am 8.8.2016.

Das ist alles recht kompliziert. Wichtig für Ihr Leben ist einfach nur, zu wissen, dass genau dieser Umweg bei unwillkürlichen Prozessen nicht stattfindet! Unwillkürliche Reaktionen laufen ab, ohne dass Sie darauf bewusst Einfluss nehmen können.

Keine Autobahn zwischen Sprache und Gefühlen

Eine rationale und bewusste Bewertung im Nachhinein funktioniert auch nicht. Sagen Sie sich mal in einer Angstsituation, dass es gar keinen Grund gibt, Angst zu haben – es wird sich nicht viel tun! Das liegt daran, dass von der Amygdala viel mehr neuronale Übertragungswege weg als zu ihr hin führen. Daher gibt es einfach keine ausgebauten „Straßen“ vom präfrontalen Cortex zur Amygdala, d.h. vom Sprach- und Denkzentrum zur Angstzentrale.

Wie wir das Unwillkürliche trotzdem beeinflussen können

Das ist nicht im ganzen Gehirn so: Unsere Motorik oder Sprache z.B. können wir bewusst steuern und so eine Sportart oder Sprechen lernen. Wenn Sie in Ihrem Leben also nun unwillkürliche Erlebensprozesse wie Angst, Nervosität, Selbstvertrauen, Zuversicht, Schlaf, Hochleistungszustände etc. beeinflussen möchten, dann reicht es nicht aus, dies nur über Sprache und bewusstes Denken zu tun. In unserem Beratungskonzept haben wir daher viele Strategien entwickelt, die der Funktionsweise unseres Gehirns entsprechen und solche unwillkürlichen Prozesse mit Aufmerksamkeitsfokussierung, Hypnose und wiederholtem wirklichen Erleben effektiv beeinflussen. Alles andere funktioniert schlichtweg nicht gut genug – und die Hirnforschung kann uns nun endlich erklären, warum.

Warum ist das überhaupt wichtig?

Nun könnte man sagen, dass diese unwillkürlichen Prozesse ja nur einen kleinen Teil des Lebens ausmachen und wichtige Prozesse ja auch bewusst und kontrollierbar ablaufen – z.B. Handlungen, Planungen, Bewegungen. Doch fragen Sie sich einmal, welche Dinge in Ihrem Leben Ihnen wirklich Probleme bereiten! Oft sind es genau solche unwillkürlichen Prozesse:

  • Sie sind müde, wo Sie gerne leistungsfähig wären
  • Sie sind nervös, wo Sie gerne selbstbewusst wären
  • Sie können nicht abschalten, wo Sie gerne ausruhen würden
  • Sie haben einen Blackout, wo Sie vollen Zugriff auf Ihr Gedächtnis oder Ihre Muskeln bräuchten
  • Sie sind lustlos, wo Sie gerne motiviert wären
  • Sie teilen verbal aus, wo Sie eigentlich ruhig bleiben müssten

Bisher haben oft einfach effektive Lösungswege gefehlt.

Wie Sie Ihr Gehirn verändern können

Wer ein glückliches Leben führen will, kann nicht nur auf Vernunft und Sprache setzen. Das klingt zwar ernüchternd, doch darin liegen natürlich auch unendliche Potenziale. Wir hoffen, wir konnten Ihnen in diesem Post bewusstmachen, dass ein glücklicheres Leben tatsächlich möglich ist, wenn Sie die richtigen Strategien verfolgen und Rücksicht auf Ihre Gefühle nehmen. Die wichtigsten Fakten zu unserem Gehirn, erfahren Sie außerdem in unserem Post „Ohne Hirn geht nichts – Was Sie über Ihr Gehirn wissen sollten“. Lesen Sie auch unsere Überblick-Seite zum Thema Persönlichkeitsentwicklung.

Zum Weiterlesen:
  • ROTH, Gerhard (1992): Das konstruktive Gehirn: Neurobiologische Grundlagen von Wahrnehmung und Erkenntnis. In: SCHMIDT, Siegfried J. (Hg.): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 277-336.
  • SCHMIDT, Gunther (2008): Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung, 2. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.